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„Im Champagner war LSD. Davon hat sie nichts gewusst“

 

Veröffentlicht am 06.09.2023 | Lesedauer: 21 Minuten

Von Klaus Boldt

Der Journalist, Reiseschriftsteller und große Erzähler Helge Timmerberg über das Schreiben, das Kiffen und sein neues Buch „Joint Adventure“

 

Helge, du warst am Wochenende in Berlin bei der Geburtstagsfeier deines Freundes, des Journalisten Franz-Josef Wagner. Er wurde 80 Jahre alt. Wie war‘s?

Sehr menschlich, sehr familiär. Keine Riesennummer wie in der „Paris Bar“, als er Siebzig wurde. So um 20 Leute waren da, alles enge Wegbegleiter. Ich habe allerdings zu viel getrunken. Gestern hatte ich einen Kater.

Du greifst sowieso lieber zum Joint als zum Weinglas.

Ja, ich trinke kaum noch. Ich feiere hin und wieder, klar. Jedes halbe Jahr oder ein Mal im Jahr. Aber wenn ich feiere, dann feiere ich (lacht).

Du kennst FJW aus jener Zeit Mitte der 90er Jahre, als er Chefredakteur der „Bunten“ war und du in Havanna im „Hotel Riviera“ lebtest und von dort Geschichten über Prominente nach München gefaxt hast.

Ich hab‘ für die „Bunte“ damals Leute-Meldungen geschrieben. Die Redaktion schickte mir pro Meldung 20 Seiten Archivmaterial, aus denen ich dann 20 Zeilen machen musste, oder sie schickte mir gar nichts, woraus ich 20 Zeilen machen musste.

Du hättest es in Kuba gemacht wie der liebe Gott, hast du einmal gesagt, nur andersherum: eine Nacht gearbeitet, sechs Tage geruht ...

… und ich habe damals wahnsinnig viel gelernt. An Franz Josef schätzte ich am meisten, dass für ihn nur das Ergebnis zählte, alles andere war egal. Axel Thorer, der später Chefredakteur war, bevor die Frau kam (Patricia Riekel kam, Anm. d. Red.), sagte gleich: „Das mache ich nicht mit, du in Havanna!“ Wenn ich mal in München bei der „Bunten“ war, kam ich immer im Trainingsanzug reinspaziert. Das kneift am wenigsten, und man kann gut arbeiten. Alle in der Chefredaktion trugen super Anzüge, feinen Zwirn und so. Von Franz Josef kam kein böses Wort. Franz Josef und ich sind aus demselben Stahl.

Aus Stahl?

Aus Stahl. Die Art, wie wir Geschichten sehen und Arbeiten sehen, meine ich. Er war auch einer der wenigen Chefredakteure, die nicht geizig waren. Als ich damals die Leute-Geschichten geschrieben habe, hat ihm eine Serie so gut gefallen, dass er mein Honorar, ohne auch nur ein Wort zu sagen, für immer verdoppelt hat. Wer macht das schon?

Er ist neun Jahre älter als du. Traurig, alt zu werden und einen Freund alt werden zu sehen? In deinem vorletzten Buch „Lecko mio – siebzig werden“ beschreibst du das eigene Altwerden.

Das hängt davon ab, ob man seinen Frieden mit sich selbst findet. Ich merke das bei mir. Je älter ich werde, desto mehr sehe ich die Summe meiner Fehler. Es kommt darauf an, dass man begreift: Ich bin, wie ich bin. Ich war, wie ich war. Ich habe mein Bestes gegeben. Auch Franz Josef versucht nicht, gegen das Alter anzukämpfen. Nur arme Gestalten versuchen das. Denn man verliert den Kampf sowieso.

Du hast, als Marihuana-, oder wie du sagst „Mary Jane“-Aficionado, jetzt ein Buch über Cannabis veröffentlicht, eine Sammlung von 22 Reisegeschichten für Einsteiger, Fortgeschrittene und Aussteiger. Es heißt „Joint Adventure“ und erscheint dieser Tage passend zur geplanten Teil-Legalisierung von Cannabis. Kifft Franz Josef Wagner auch?

Nein. Vielleicht hat er‘s mit mir mal in Havanna versucht. Es war aber nicht sein Ding.

FJW soll einmal gesagt haben, er würde sterben, wenn er nicht mehr schriebe. Geht es dir auch so, oder schreibst du nur, um die Miete zu bezahlen und Dope zu kaufen?

Ich schreibe aus zwei Gründen: Ich brauche immer Geld, da ich immer alles ausgebe, was ich verdiene. Und ich bin, zweitens, schlecht drauf, wenn ich eine Zeit lang – im Urlaub zum Beispiel – nicht schreibe. Lagerfeld sagte mal, dass das Gehirn wie ein Muskel sei. Wenn du ständig mit dem Gehirn arbeitest, wird dieser Muskel stark – aber er geht auch nicht einfach in Ruhestellung, wenn du nicht arbeitest. Mein Gehirn wühlt sich dann in jeglichen Blödsinn philosophischer und grüblerischer Natur hinein. Denke ständig über dieses und jenes nach, über die Vergangenheit und die Zukunft oder die Beziehung. Wenn die Seele rotiert wie ein Goldhamster im Rad, dann denke ich, dass es an der Zeit ist, wieder zu schreiben. Beim Schreiben stelle ich meine Gedanken auf Ruhe. Mir geht‘s immer gut, wenn ich schreibe.

„Joint Adventure“ ist dein siebzehntes Buch. Wo steht es in deiner persönlichen Bestenliste?

Ich habe von Leuten, die mich sehr gut kennen, öfter gehört, dass ich mit diesem Buch am nächsten an der Art sei, wie Hunter S. Thompson geschrieben habe. Wenn das stimmt, dann ist es mein Lieblingsbuch.

Kurze Erklärung für alle, die Hunter S. Thompson nicht kennen: Er galt als Chronist der Gegenkultur. Sein literarisch geprägter Schreibstil, der als „Gonzo“ bekannt wurde, machte ihn zu einem Neuerer des Journalismus. Thompson liebte das Tempo, seine Sätze sollten donnern wie Harley-Davidsons, seine Pointen treffen wie Schüsse einer 44er Magnum. Die „New York Times“ nannte seinen Roman „Fear and Loathing in Las Vegas“ einen „Klassiker der Moderne“. Er selbst hat mal gesagt: „Ich würde Alkohol, Drogen und Waffen nicht unbedingt weiterempfehlen, aber für mich hat diese Mischung immer prima funktioniert.“ 2005 hat er sich erschossen.

Ich erzähle gleich noch von ihm. Wie ich selbst „Joint Adventures“ finde? Dazu muss ich das Buch erst einmal weglegen. Ich habe so viel daran gearbeitet, dass ich es nicht mehr einschätzen kann. Ich habe es jetzt drei-, viermal gelesen. Jedes Mal gefällt es mir gut. (lacht) Es geht ja um eines der Megathemen meines Lebens. Ich hab‘s neulich mal ausgerechnet: Ich kiffe seit meinem siebzehnten Lebensjahr im Schnitt drei Joints am Tag. Das sind mittlerweile 50.000. Das kann man schon als sehr starkes Lebensthema begreifen.

Du hast mal gesagt: Du schreibst am besten, wenn du gekifft hast, und am liebsten schreibst du nachts: „Kein Rabatz, keine Autos, gute Sätze.“ Ist das dein Kniff, um Klang, Tiefe und Rhythmus in die Sätze zu bekommen?

Ich lese mir, was ich schreibe, auch gerne mal vor, aber nicht immer. Wenn ich es mache, merke ich, dass es mir hilft. Es kann aber auch schaden. Ich merke es bei Lesungen. Texte gewinnen durch die Mimik, die Pausen, die man machen kann, das Anheben und den Druck in der Stimme. Man ist wie ein Schauspieler und kann auf 1.000 Arten „Ich liebe dich“ sagen. Das ist ein Plus obendrauf. Manchmal ist das auch gefährlich. Denn der Leser, der das Buch in die Hand bekommt, hört es nicht. Er muss es selbst lesen. Was das Gesicht, die Mimik und die Stimme mit so einem Text macht, das muss man im Text selbst rüberbringen. Es hat also Vor- und Nachteile. Wenn man gut lesen kann, merkt man dabei, wenn der Rhythmus holpert. Das spürt man sofort. Im Oktober halte ich zehn Lesungen, das mache ich wahnsinnig gern. Wenn ich richtig in Form bin, dann lese ich nicht, sondern erzähle! Wenn man erzählt, ist es noch mal viel besser.

Dann erzähle noch mal etwas von Hunter S. Thompson. Er ist so eine Art Vorbild für dich, oder?

Alle meine schriftstellerischen Vorbilder nahmen verschiedene Arbeitsdrogen. Und Hunter S. Thompson konnte ich auch persönlich kennengelernen. Ende der 80er Jahre habe ich eine Woche lang bei ihm gewohnt und ihn sehr genau beobachten können. Auf Cannabis konnte er keinen Satz schreiben. Er schrieb immer auf Koks und Alkohol. Gekifft hat er erst, wenn der Text fertig war. Dann hat er‘s geliebt und Bob Dylan in seiner Hütte aufgelegt. Charles Bukowski konnte gut auf Bier schreiben. Ich kann auf Alkohol überhaupt nicht schreiben. Ich flattere dann weg. Aber alle, von denen ich etwas halte und deren Bücher mir gefallen, nahmen irgendeine Arbeitsdroge.

Hast du den Eindruck, dass dein Stil mit den Jahren dadurch an Tiefe und Reinheit gewonnen oder einfach nur die Schreibarbeit erleichtert hat?

Kann ich nicht sagen. Das Schreiben fällt mir jedenfalls leichter. Ich habe mehr Erfahrung. Ich denke immer weniger daran: Was man wie sagen muss oder was man nicht sagen darf? Ich vertraue immer mehr den Sätzen, wie sie aus mir herauskommen. Der Bauch sagt, was ein super Satz ist. Zack! Reifer schreibe ich insofern, weil ich nicht mehr so auf Provokation aus bin. Wie früher, als ich bei „Tempo“ war.

Auch hier zur Erklärung: „Tempo“ war das legendäre Zeitgeist-Magazin, das den New Journalism à la Tom Wolfe und Hunter S. Thompson nach Deutschland brachte. Es erschien von 1986 bis 1996.

Damals gab‘s einen gewissen Dünkel gegenüber dem Normalbürger. Den habe ich nicht mehr. Ich hacke nicht mehr auf denen herum. Man schreibt einfach immer besser. Es ist wie ein Tischler, der Stühle macht: Wer 60 ist, baut bessere Stühle als ein 17-Jähriger. Man lernt mit jedem Satz und jeder Geschichte dazu. Wichtig ist nur, dass man Texte aus eigener Überzeugung schreibt und nicht daran denkt, wie der Chefredakteur sie wohl findet. Wenn man nur dem gefallen will, dann dreht sich einem irgendwann beim Schreiben der Magen um.

Du hast um deine Texte, um Worte und Formulierungen gekämpft?

Extrem. Redakteure bei Zeitschriften habe ich irgendwann als meine natürliche Feinde begriffen. Es kamen immer irgendwelche Stellvertreter, die sagten, dass es so aber nicht ginge. Am schlimmsten war  der erste „Tempo“-Chefredakteur Markus Peichl. Mittlerweile muss ich nicht mehr kämpfen. Änderungen gegen meinen Willen nimmt sich entweder keiner mehr heraus, oder er überzeugt er mich mit einem Vorschlag. Es gibt genug Fälle, wo ich finde: Da hat er Recht. Früher ging es mir immer so, als würde mir jemand ein Messer hineinstechen, wenn er in meinen Text hineinstach.

Du siehst dich immer noch in der Tradition eines Hunter S. Thompson?

Hunter hat mich sehr stark beeinflusst. Im Leben gibt es so zwei bis drei Momente. Als ich „Fear and Loathing in Las Vegas“ gelesen habe – das war im Winter 1980. Das Buch lag da irgendwo. Ich fing in der Nacht an, es zu lesen. Es schneite. Ich kann mich daran erinnern. Es war, als würde die Welt stillstehen. Es kam eine Ruhe über mich: So kann man Journalismus auch anpacken! Es war ein ganz starker Schlüssel. Auch Charles Bukowski ist einer meiner Lieblingsschriftsteller. Witzigerweise auch Hermann Hesse. Witzigerweise, weil sein Stil mittlerweile überholt ist. Er hat das Blumige drauf. (lacht) Ich habe auch Steven King gerne gelesen (lacht noch lauter). Als er noch Drogen genommen hat, fand ich seine Bücher klasse. Nach seinem schweren Unfall hat er komplett mit Koks aufgehört. Ich fand seine Bücher vorher besser. Ähnlich ist es mit Bukowski. Er hatte zum Schluss Krebs und musste sein letztes Buch ohne Bier schreiben. Er fand‘s gut, ich fand‘s langweilig.

Über deine Woche mit Hunter S. Thomspon in seinem Holzhaus in den Rocky Mountains hast du 1988 in „Tempo“ geschrieben: „Ein ‚Gonzo-Journalist ist jemand, der es zu mühsam findet, in einer durch und durch verrückten Welt so zu tun, als sei der Reporter der einzig Normale weit und breit.“

Mann, es war der helle Wahnsinn. Denn kein Mensch hatte geglaubt, dass ich Hunter je zum Interview bekäme. Der hat auf Menschen geschossen, wenn sie seiner Hütte zu nah kamen. Ich war damals mit meiner Freundin Mira in Kalifornien und schrieb seiner Agentin. Es dauerte einen Monat. Wir waren zwischendurch in Belize. Nach einem Monat schrieb seine Agentin, dass Hunter 20 Minuten in der „Woody Creek Tavern“ in Woody Creek Zeit für mich hätte. Woody Creek ist ein Örtchen in der Nähe von Aspen. Er hatte seine Jagdhütte einige Kilometer oberhalb in den Bergen, und die  „Woody Creek Tavern“ war seine Stammkneipe. Er kam rein und sah meine Freundin – und von da an waren wir eine Woche bei ihm in der Hütte. Es ging da nur um meine Mira . Er hat dann alles mitgemacht. Nach einer Woche rief ich den Chefredakteur Peichl an und sagte: Ich sitze seit einer Woche in Hunters Hütte. Da war er zuerst komplett sprachlos und sagte dann, ich solle ihn mal fragen, ob er nicht für „Tempo“ Kolumnen schreibe wolle über den Präsidentschaftswahlkampf von Bush Senior gegen Dukakis. Ich fragte Hunter, und er sagte: „Klar – aber nur, wenn sie meine Redakteurin ist.“ Meine Freundin war Volontärin damals. Ich rief Peichl in Hamburg an und sagte, wir bekämen die Kolumne, aber meine Freundin müsse seine Redakteurin sein. Das war ein Glücksfall.

 

Kurze Zwischenfrage: Hattest du Thompson eigentlich im Original gelesen?

Ich war der totale Hunter-Fan. Als wir ihn in der „Woody Creek Tavern“ getroffen haben, war ich so verkrampft wie ein Baumstamm. Es gibt ein Foto, wie ich ihm gegenübersitze. Der liebe Gott spricht mir jetzt ins Mikrophon. Das hat sich dann schnell geändert, aber ja: Hunter kann ich auf Englisch lesen. Auch Hemingway. Die haben eine sehr einfache Sprache. Tom Wolfe könnte ich nicht auf Englisch lesen. Ich fand „Fear and Loathing in Las Vegas“ hammergeil. Ich war so ehrfürchtig. Er war damals 50. Ich war Mitte 30. In der Woche, in der wir bei ihm in der Hütte wohnten, erlebte ich langsam, wie er war und wie er schrieb. Ich bekam mit, dass er für eine Kolumne eine ganze Woche brauchte. Er war nicht mehr in Topform. Das zeigte mir, dass wir langsam auf Augenhöhe waren.

Wie ging es weiter mit ihm und deiner damaligen Freundin?

 

Der hat sie ohne Ende angebaggert. Der wollte uns gar nicht mehr gehen lassen. Wir haben oben im Gästezimmer bei ihm gewohnt. Wir waren aber sehr verliebt. Er hatte also keine Chance. Nach einer Woche hatte ich die Schnauze voll. Man hockte da, überall Schnee. Es war in der Jagdhütte ganz einsam. Es gab nichts außer Hunter. Wir mussten 24 Stunden Hunter ertragen. Ich wollte da langsam weg. „Bleibt doch hier. Ihr könnt hier Monate bleiben“, sagte er. Ich sagte, nein. Er hat uns schließlich sogar einen BMW von irgendeinem Bekannten organisiert, den wir nach New York überführen konnten. Ich bekam noch ein Tütchen Marihuana mit. Die Geschichte wurde immer irrer, wie sie weitergelaufen ist.

 

Was dann?

 

Wir kamen zurück zu „Tempo“. Das erste Mal, als die Kolumne kommen sollte, kam sie nicht. Dafür war Hunter aber berühmt: Er könne sie nicht schreiben, er brauche seine Redakteurin vor Ort ... Die wollten sie schon zu ihm fliegen lassen. Ich sagte: „Nein, kommt nicht in die Tüte.“ Dann hat er seine Kolumne trotzdem geliefert. Beim nächsten Mal kam die Kolumne wieder nicht. Er könne sie nicht schreiben, er brauche seine Redakteurin bei ihm vor Ort ... Ich habe mich nicht drauf eingelassen. Beim dritten Mal kam sie dann wirklich nicht mehr. Hunter hat es immer auf dieselbe Tour gemacht. Dann haben sie meine Freundin Mira hingeschickt. Sie ist von Hamburg nach Colorado geflogen. Mitten in der Nacht bekam ich den Anruf von Hunters Telefon. Sie war dran. Überall seien riesige Spinnen an den Wänden, Hunter liege im Nebenraum und stöhne laut. Sie habe Angst!

Was war los?

Es stellte sich heraus: Hunter hatte sie in Aspen vom Flughafen abgeholt. Es gab erst einmal einen schönen Joint, eine schöne Nase und Champagner. Aber im Champagner war LSD. Davon hat sie nichts gewusst. Plötzlich ging ein Horrortrip los … Ich habe dann fast die halbe Nacht mit ihr am Telefon Atemübungen gemacht. Ich hörte ihn immer nur im Hintergrund brüllen: „This fucking asshole! This fucking asshole!“ Er war tierisch sauer wegen der Telefonrechnung. Er hat sie dann „Tempo“ aufgedrückt. Aber von da an hat er seine Kolumnen immer brav und ohne Spielchen abgeliefert. So war Hunter. Er war für mich ein absoluter Schreibguru gewesen. Aber nachdem ich diese Woche bei ihm verbracht hatte, war das mit Schreibguru vorbei.

 

Was denkst du heute über ihn, 18 Jahre nach seinem Selbstmord?

 

Es kommt darauf an. „Angst und Schrecken in Las Vegas“ ist ein Jahrhundertbuch. Das kann man gar nicht schlecht finden. Das ist frisch. Seine Kolumnen damals fand ich nicht immer super. Die meisten Schreiber haben ein oder zwei Bücher mit voller Power geschrieben, wo alles stimmte. Das ist ihr Buch. Das war bei Hunter ganz klar „Angst und Schrecken in Las Vegas“.

Dein Buch „Joint Adventure“, dessen Stil Hunter S. Thompson ähnelt, ist eine Art kulturgeschichtlicher Cannabis-Ratgeber und Reiseführer in einem. Du nennst das literarische Sachbücher?

 

Ja, literarische Nichtfiktion.

Die einzelnen Geschichten des Buches stimmen nach bestem Wissen und Gewissen mit dem überein, was du erlebt hast? Du hast nichts Wesentliches weggelassen, Unwesentliches ausgeschmückt oder Anderes erfunden?

Da ist nichts erfunden worden. Ich sage immer, dass der Unterschied zwischen dem Leben und einer Biografie die Kunst des Weglassens sei.

Es ist aber nicht die Kunst, etwas herumzudrehen.

Bist du für das Buch gereist oder hast du aus dem Gedächtnis geschrieben?

Sowohl als auch. Für das Buch bin ich nach Amsterdam, Thailand, Malta, Mallorca, („Mallehuana“) , LA  und Marokko gereist. Aber es sind auch Erinnerungen dabei. Zwischenkapitel wie das Märchen von der Einstiegsdroge oder die Passagen über Goa.

Die Kosten hat der Verlag vorgeschossen.

Ich bekomme immer Vorschuss. Ich mache ein Thema und ein Buch klar. Dann bekomme ich die Hälfte des Honorars. Die zweite Hälfte, wenn‘s fertig ist. Anders kann ich nicht arbeiten. Ich muss von meinem Vorschuss alles bezahlen: Reisen, Spesen, Arbeitszeit. Deshalb fliege ich so billig wie möglich. Kurz nach Corona war nichts billig. Der Bangkok-Flug kostete 1400. Als ich für das Buch in Amsterdam war, fand ich bei Booking.com was für 45 Euro. Ich dachte, was ist das denn? Es war ein Boot. Als ich in die Kajüte kam, habe ich verstanden, warum es so billig war: Du stehst am Bett, du fühlst das Bett an deinem Bauch und die Tür fühlst du hinten. Die Kajüte war zwei Meter lang und 1,60 breit.

 

Du erzählst in deinem Buch, wie du mit dem Gedanken gespielt hättest, das Kiffen aufzugeben, einfach weil es so anstrengend sei, auf Reisen Dope zu besorgen: „Faule Dealer, fleißige Bullen, das falsche Land“.

Ja, es ist schon anstrengend und wirklich gefährlich. Gerade in der Türkei ist die Staatsgewalt heavy drauf. Vielleicht kennst du den Film „Midnight Express“. Der handelt davon, wie einer am Flughafen erwischt wird. Ich war mal mit einem Freund in Istanbul, und wir wollten uns Marihuana besorgen. Wir hatten irgendwo jemanden gefragt. Der hat uns in eine völlig unkoschere Bar in Istanbul geschickt, wo wir warten sollten. Später kam er mit seinen Tütchen an. Wir gingen mit den Tütchen raus – und vor der Bar standen überall Polizisten mit Maschinengewehren. Nicht wegen uns. Aber zum Glück waren wir zu betrunken, um uns erschrecken zu können. Maschinengewehre und Bullen: Wir marschierten einfach zwischen ihnen durch ... Ja, es ist in der Türkei stressig. Wenn ich jetzt dorthin reise, frage ich gar nicht mehr nach Dope. Dann nehme ich es als gute Chance, wieder eine Auszeit zu haben. Das ist auch gut. Dann wird eben mehr getrunken.

Eine Herausforderung sei immer „letzte Krümel“, erzählst du.

Ja, es gibt positive Überraschungen. Man kommt ins Hotel, packt aus und findet noch ein Krümelchen. Super. Wenn man aber in eine intensive Kontrolle bei den Saudis kommt, dann reicht irgendwo ein Krümel, und man ist weg.

Wie ist dein Verhältnis zur Ordnungsmacht?

Seit ein paar Jahren bin ich eng befreundet mit einem österreichischen Polizisten. Er ist Zielfahnder, seine Frau Mordkommissarin. Früher wäre das unvorstellbar gewesen. Ich habe mich ja ständig im Illegalen bewegt. In den 70er Jahren ging die Polizei ja noch viel härter gegen Kiffer vor, man musste immer damit rechnen, dass sie die Bude stürmen, und man einen Gummiknüppel auf den Kopf bekommt. Man war Abschaum, Hippie, Gammler. Während ich immer überzeugt war, dass Kiffen nichts Kriminelles oder Böses ist. Es geht – wie beim Weintrinken – niemand etwas an. Cannabis kam im Mittelalter nach Europa. Es war in den Klosterapotheken sehr beliebt. Hildegard von Bingen hat Hanf im Klostergarten gezogen und fand das toll. Sie hat über die gesundheitlichen Vorteile und darüber, wo Cannabis hilft, geschrieben. Noch in den 1930 Jahren bildete Cannabis in Amerika die Grundlage für die Hälfte aller Schmerzmittel, in Deutschland gab es in Apotheken über 100 Cannabis-Medikamente. Auch Schiller und Goethe nutzten es meiner Einschätzung nach. natürlich. Von Richard Wagner weiß man es. Seine Haushälterin hat im Tagebuch beschrieben, wie es mit Wagner war: Der Raum, in dem er komponierte, sei immer voll süßen Duftes gewesen. Kann ich gut nachvollziehen, wenn ich seine Musik höre.

 

Du schreibst, deine Freundin Lara hasse alles am Kiffen, angefangen beim Geruch bis zum Kiffer selbst. Die Droge habe dich weich gemacht. Du berichtest, dass „aus dir beim Kiffen neuerdings ein Schisshase“ werde, wenn du an die Zukunft denkst. Was macht dir Angst: das nächste Buch, das Geld, der Tod?

Es ist immer nur das Geld. Ich habe keine Angst vor dem nächsten Buch. Wie gesagt, ich fühle nicht, dass es mir immer schwerer fiele. Es fällt mir ja, im Gegenteil, immer leichter. Ich habe aber ständig Geldprobleme, obwohl ich gut verdient habe und immer noch gut verdiene. Ich kann den Scheiß einfach nicht halten. Es kommt rein, es geht raus.

Wofür gibst du es aus?

Für alles Mögliche. Ich habe zwei Wohnsitze. Der in der Schweiz ist nicht ganz billig. Ich pflege das große Auto meines Vaters, ich gehe in Restaurants. Und wenn meine Kinder was brauchen, müssen sie mich nur fragen, dann bekommen sie Kohle. Es ist seit 30 Jahren so. Wenn ich im Monat 5.000 verdiene, dann sind am Monatsende die 5.000 weg. Wenn ich 10.000 verdiene, dann sind die 10.000 weg. Das Honorar für meine Biografie des Unternehmers „Reinhold Würth“  war nach drei Jahren weg. Ich ärgere mich im Nachhinein immer. Ich hätte eine Wohnung kaufen können. Aber so bin ich. Das werde ich nicht mehr geregelt bekommen. Hat ja auch Vorteile. Ich bin jetzt 71 und muss immer weiterschreiben. Ich sehe Leute, die in den Ruhestand gegangen sind. Das erste Jahr ist lustig. Dann beobachte ich die Männer. Es ist nicht mehr schön. Die wachen morgens auf und stehen vor einer endlosen Zeit, die sinnvoll herumgebracht werden muss. Ich erzählte dir vorhin, dass ich nur gut drauf bin, wenn ich schreibe. Wenn ich nicht schreibe, fange ich zu grübeln an. Es wird grausam in meinem Kopf.

Deshalb warst du kürzlich wieder auf Reise-Recherche.

Ich bin mit dem Auto meines Vaters von Sankt Gallen nach Marrakesch gefahren. Es ist ein schönes Auto, ein Mercedes 220 E CDI Elegance, Baujahr 2002 (lacht). Knapp sieben Wochen war ich unterwegs.

Alleine?

Meine Freundin arbeitet ja, und wenn du mit jemandem über so lange Strecken im Auto fährst, kommst du nicht darum herum, dass die Hälfte des Erlebens aus der Kommunikation mit deinem Beifahrer entsteht.

Worum geht es in dem nächsten Buch?

Der Traum von der großen Reise ist das Thema: On the Road again. Früher bin ich wahnsinnig gerne Auto gefahren, und die Route durch Südeuropa ist sehr schön. Ich dachte, ich würde den Wagen einfach in Marokko stehenlassen, wenn er mir kaputtginge. Ich habe ihn sowieso schon seit zehn Jahren. Jetzt reicht‘s. Es ging darum, endlich wieder on the road again zu sein.

Hast du schon angefangen zu schreiben?

Ja, aber nur ganz wenig.

Machst du dir unterwegs Notizen?

Nein, nie. Früher mal. Aber irgendwann war ziemlich klar, dass ich das, was mich unterwegs oder bei einer Recherche berührt, ja sowieso nicht vergesse. Früher musste ich alles Mögliche notieren. Heute setze ich mich hin und google nachträglich Adressen und Namen. Durch das Internet ist das alles ganz anders als früher.

Für dich war es auch so etwas wie eine Heimreise. Du hast ja lange in Marrakesch gelebt.

Zehn Jahre.

Wie lange warst du in Havanna?

Zwei.

Wo war’s am Schönsten?

In Havanna. Da war ich von 1995 bis 1997. In Kuba war das eine sehr spezielle Zeit. Castro war krank, sein Bruder Raúl spielte eine größere Rolle. Raúl war viel pragmatischer. Man könnte auch korrupter sagen. Der ließ plötzlich alles zu. Kubaner durften Dollars haben und kleine Geschäfte führen: Wer ein Auto hatte, gründete eine Taxi-Firma, wer eine Wohnung hatte, eröffnete eine Pension, wer eine Küche hatte, ein Restaurant. Es wehte der Wind of Change. Alle dachten: Jetzt beginnt die Freiheit! Es war eine einzige Salsa-Party. In diesen zwei Jahren war in Kuba alles möglich. Und diese zwei Jahre hatte ich glücklicherweise erwischt.

Du hast in „Joint Adventure“ geschrieben, dass ein Buch über das Kiffen mit dem Aufhören enden müsse: „Alles andere wäre unsportlich.“ Du hast 29 Tage geschafft und dann wieder angefangen. Was hat dich zum Ausstieg aus dem Ausstieg bewogen?

Ich hatte ja nicht vor, ganz aufzuhören. Sondern nur einen Monat. Das war mir für das Buch wichtig. Einen Tag weniger spielte für diesen Plan keine Rolle. Cannabis ist u.a. ein gutes Schlafmittel und wenn man aufhört, schläft man die ersten Wochen schlecht. Und ich wollte endlich wieder pennen.

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