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Eingeraucht durchs Leben

Helge Timmerberg. Der Autor hat bereits 200 Länder bereist und dabei stets (außer in Nordkorea) gekifft. Nun hat er ein Buch über Cannabis geschrieben. Ein Gespräch über Klischees und den Joint, der sein Leben veränderte.

Foto: Frank Zauritz

Welche Bedeutung hat für Sie ein Joint?

Welche Bedeutung hat für Sie ein Bier oder ein Glas Wein?  Der Joint ist meine Gewohnheitsdroge.  Er entspannt mich, er inspiriert mich, er gibt mir ein gutes Bauchgefühl. Ich kann es auch so sagen: Er ist meine Komfortzone. Und das seit 50 Jahren. Aber in der Regel nur am Abend. „Am Morgen ein Joint und der Tag ist dein Freund“ ist Blödsinn. Der Tag ist für dem Kampf, der Abend für die Gemütlichkeit.

 

Können Sie sich noch an den ersten Joint, den ersten Zug ihres Lebens erinnern?

Im Sommer 1968 . Amsterdam. Es war ein Klassenausflug. Unsere Lehrer hatten Tulpenblüte und Rembrandtmuseum auf dem Programm. Stattdessen landete ich im „Paradiso“, einer ehemaligen Kirche, die zu einem Jugendzentrum umfunktioniert worden war. Das war reiner Zufall. Ich spazierte da einfach nur lang und ging rein. Der Sommer 68 gilt als Geburtsmonat der Hippies , Amsterdam als ihre Metropole auf dem europäischen Kontinent und das Paradiso als das Zentrum im Zentrum. Eine vollere Kirche habe ich nie gesehen. Alle tanzten, alle rauchten Joints. Und Steppenwolf spielte auf.  „Born tob e wild“.  Also rauchte ich auch einen.

In Deutschland soll das Kiffen bald legal sein. Der Gesundheitsminister Lauterbach gibt auch öffentlich zu, dass er es schon mal probiert hat, das Kiffen. In Österreich ist aber alles anders: An eine Legalisierung ist nicht zu denken und gekifft will in der Spitzenpolitik auch niemand haben. Was läuft in Deutschland anders als in Österreich?

In Deutschland läuft vieles schlechter, als in Österreich. Aber nicht alles. Die Grünen und die FDP wollen die Legalisierung von Cannabis seit langem, bei der SPD waren es die Jusos, die Druck machten. Und von denen sitzen seit der letzten Wahl mehr im Bundestag als je zuvor. Auch Springer ist umgeschwenkt. Bild ist jetzt pro Legalisieren. Stellen Sie sich vor, die „Krone“  würde das Ende der Cannabis -Prohibition befürworten. Unvorstellbar? Ja. Aber bei Springer war es das lange Zeit auch und elbst in Österreich stimmt die konfuzianische Weisheit, dass alles Leben Wandel ist. Ich las neulich von einer Umfrage, bei der herauskam, dass bereits jeder Dritte Österreicher Cannabis probiert hat. Es ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Wie oft hatten Sie wegen dem Kiffen schon Probleme mit der Polizei, mussten Sie auch schon mal ins Gefängnis? Vorstrafen?

Jessas! Nein. Ich bin doch kein Dealer. Ich lass mir nur von Alkoholkonsumenten nicht das Kiffen verbieten. Das sehe ich einfach nicht ein. Probleme mit der Polizei gabs natürlich schon, aber nur zweimal. In Hamburg werden 5 Gramm als Eigenkonsum Menge toleriert, aber sie fanden o,6 Gramm mehr bei mir und das hat mich tatsächlich vor den Richter gebracht. Ein Richter, der richtig sauer wurde.“ 5, 6 Gramm Haschisch“ rief er aufgebracht in den Saal. „Wer um Gottes Willen hat das zur Verhandlung gebracht?“ Er schlug das Verfahren sofort nieder. Auf Kuba fand die Polizei auch mal ein bisschen Marihuana bei mir. Aber ich hatte fünf Jahre zuvor für die „Bunte“ Fidel Castro interviewt und trug die Einladungskarte zu ihm in den Palacio de Revolution für den Fall aller Fälle immer bei mir. Und als ich sie den kubanischen Polizisten zeigte, war das Cannabis kein Problem mehr. Ich hatte ab sofort überhaupt keine Probleme mehr in der Stadt. Trotzdem bin ich kein Kommunist geworden.

 

Wenn man in fremde Länder reist, muss man sich dort ja mit Zeug eindecken. Wo war es bislang am schwierigsten, am gefährlichsten, gar unmöglich, Cannabis zu besorgen?

Ganz klar in Nord - Korea. Ich war für die Bild am Sonntag da und ich habe nicht einmal danach gefragt. Ja, nicht einmal daran gedacht zu fragen, habe ich in Pjöng Jang. Wer Cannabis erfolgreich bekämpfen will, braucht sich nur mal in Nord - Korea umzusehen. Dann weiß er, wie man`s macht.

Sie kiffen seit rund einem halben Jahrhundert. Wie hat sich das auf ihr Leben, auf ihre Gesundheit ausgewirkt?

Cannabis ist die älteste Heilpflanze der Welt. Kein Schmäh. Die alten Chinesen alten Ägypter, alten Inder nutzten es zur Heilung oder Linderung zahlreicher Gebrechen, darüber gibt es belastbare Dokumente, die Ärzte Arabiens und Persiens taten das ebenso und die Kreuzritter des Mittelalters haben es nach Europa gebracht. Die größte Heilkundige der katholischen Kirche, die Abtissin Hildegard von Bingen  baute Marihuana im Klostergarten an. Um es abzukürzen. Bis Anfang des 20.Jahrhundert gab es in den europäischen Apotheken über 100 Medikamente mit Cannabis und 50 Prozent aller Schmerzmittel in den USA enthielten es. Mittlerweile weiß man auch, das Cannabis bei Krebserkrankungen hilfreich wirkt, auch bei Coronna. Das Klinikum Klagenfurt veröffentlichte dazu eine Studie. Und was mich angeht: ich war und bin eher selten krank und was Schweres habe ich mir ausschließlich auf Reisen eingefangen. Malaria, und solche Sachen.  Aber alles in allem waren die über 300 000 Euro die ich bisher in meine Krankenversicherung eingezahlte habe, für die Katz. 

Wie wirkt sich die Sucht, also das Kiffen auf ihren Alltag aus?

Sucht ist in meinem Fall das falsche Wort. Wäre es das Richtige, müsste jeder rechtschaffende Alkoholkonsument, der täglich zwei, drei Bier zu sich nimmt, sich eingestehen, dass er süchtig ist. Und Kiffen und Sucht ist auch nicht dasselbe. Kiffer sind Leute, deren Gewohnheitsdroge nicht Alkohol, sondern Cannabis ist. Und was meinen Alltag damit angeht: der verläuft relativ normal. Sie würden es nicht bemerken, wenn ich bekifft bin.

Was machen Sie, wenn es mal nichts zum Kiffen gibt?

Dann freue ich mich auf Alkohol. Wenn man so selten trinkt, wie ich, macht ein Kuba Libre richtig Spaß. Das Problem ist dann der nächste Tag. Und manchmal auch noch der übernächste. Vom Kiffen hatte ich noch nie einen Kater.

Kommt bei Ihnen auch CBD in den Joint? Und was ist der Vorteil bzw. Nachtteil gegenüber einen „richtigen“ Joint, also mit THC.

CBD entspannt nur, es ist nicht psychoaktiv. Das ist für die einen ein Vorteil, für die anderen ein Nachteil.

Sind sie, wie man Langzeitkiffern gerne unterstellt, extrem langsam bzw. antriebslos?

Ich bin ein Vielschreiber. In den 80er und 90er Jahren zählte ich zu den fleißigsten Reportern Deutschlands , seit 2004 schreibe ich Bücher. Das 17. Ist gerade auf dem Markt. Und ich reise noch immer wie bescheuert. Für „Joint Adventure“ war ich in Malta, Rüdesheim am Rhein, Amsterdam, Mallorca, Thailand und Kalifornien. Für mein kommendes 18. Buch fuhr ich diesen Sommer mit dem Benz von St. Gallen nach Marrakesch und zurück. 7000 Kilometer insgesamt.  Außerdem mache ich im Schnitt 30 bis 40 Lesungen pro Jahr und reise dafür kreuz und quer durch Deutschland. Das sind Ochsentouren.  Ich sag das nicht, um anzugeben, sondern als Antwort auf Ihre Frage. Und um noch ein paar andere „antriebslose“ Kiffer zu benennen: Hermann Hesse, Louis Armstrong, Madonna, Oliver Stone, George Clooney, Lady Gaga, Jennifer Aniston, Hugh Hefner, Woody Harrelson, Woody Goldberg, Morgan Freeman, Richard Branson, Cameron Diaz, Brad Pitt, Matt Damon, John Lennon, Robert Mitchum, Mick Jagger, Harrison Ford , Rihanna, Jim Morrison, Justin Bieber , Mike Tyson…Und Arnold Schwarzenegger sagte einmal: “Marihuana ist keine Droge, sondern ein Blatt.“

Welche Klischees über Kiffer stimmen, welche sind falsch. Da bitte ein paar Beispiele.

Natürlich gibt es auch antriebslose Kiffer. Aber es gibt auch antriebslose Pfefferminz Tee Konsumenten und faule Beamte. Ein Klischee, das allerdings stimmt, erkläre ich immer gern mit einem Witz. Ein Kokser, ein LSD -Freak und ein Kiffer planen den Ausbruch aus dem Gefängnis. Der Kokser sagt: „Wir gehen durch die Wand“. Der LSD -Freak sagt: „Nee, nee, wir fliegen oben drüber“. Und der Kiffer sagt:“ Durch die Wand gehen? Oben drüber fliegen? Super Ideen! Aber lass uns das morgen machen, oder.“ Die Kiffer Verschieberitis  hat mit dem Umschalten vom Sympathikus in den Para-Sympathikus zu tun. Beide sitzen im zentralen Nervensystem. Der Sympathikus steuert die Aktivphasen des Menschen, der Parasympathikus die Phasen, in denen er Erholung braucht und seine Kräfte regeneriert. Hätten wir es nur mit dem Sympathikus zu tun, würde er uns irgendwann in den Burn Out führen. Und nur Parasympathikus würde bedeuten, wir kämen aus dem chillen nicht mehr heraus. Das muss man wissen , wenn`s um die Wurst geht. Wenn du bekifft bist, willst du keinen Stress. Darum gehe ich in Stress Situationen , wie Beziehungsgespräche, Honorarverhandlungen, Interviews, Talkshows, Lesungen, etc, grundsätzlich nüchtern.

Es wird immer gesagt, Cannabis sei nur der Anfang, also eine Einstiegsdroge. Wenn das so ist, müssten Sie eigentlich längst andere Drogen nehmen. Nehmen Sie?

Zwischen meinem ersten Joint und mein ersten Line Kokain lagen satte 25 Jahre. Und ich blieb nicht lange dabei, weil mir die Wirkung von Kokain nicht gefiel. Gier, Größenwahn, mega unsoziales Verhalten, Heuchelei, Zynismus – was soll ich damit?  Opium habe ich in den 50 Jahren vielleicht vier oder fünfmal konsumiert, aber mir fehlte das Persönlichkeitsprofil um daran hängen zu bleiben. Ich hatte immer Lust am Vorwärtskommen und wenn ich dabei auf die Nase fiel, hatte ich Lust am wieder Aufstehen. Für eine Opiumsucht aber braucht es die Lust am Liegenbleiben. Und Cannabis die Einstiegsdroge für Alkohol zu nennen, ist natürlich auch Blödsinn. In meinem Fall und auch ganz allgemein stimmt dagegen: die Einstiegsdroge für Kokain ist Alkohol, die Einstiegsdroge für Opium die übergroße Sehnsucht nach Geborgenheit und die Einstiegsdroge für die extrem süchtig machenden Benzodiazepine (kurz: Benzos) und Opioide der Pharmaindustrie ist der Onkel Doktor, der mir mal bei einem Bandscheibenvorfall einen quasi wie Opium wirkenden Muskelrelaxan mit den Worten verschrieb: „Eine davon am Abend, plus ein Glas Rotwein und Bob Dylan- und du bist im Himmel“.

Wo haben Sie bislang ihren stärksten Joint geraucht, wo hat es sich aus den Latschen gehoben?

Sie sind süchtig, wie oft haben Sie schon versucht, aufzuhören

Antwort: Nein, süchtig bin ich nicht , denn Sucht bedeutet, das man ausflippt, wenn was nicht da ist. Gewohnheitsdroge bedeutet, dass man nur angefressen, ist, wenn das Bier oder das Cannabis alle ist. Mit dem Unterschied, dass man Alkohol quasi an jeder Ecke und fast zu jeder Zeit legal nach ordern kann, da fällt die Abhängigkeit durch Gewöhnung nicht so auf.  

Wie wirkt sich das Kiffen auf die Arbeit, das Schreiben aus?

Ich schreibe definitiv kreativer. Aber auch langsamer. Und je langsamer ich schreibe, desto schneller liest es sich.

 

Schreiben Sie lieber bekifft? Wenn ja, warum werden Ihre Texte dadurch besser?

Siehe oben.

Wie ist das Kifferleben? Was macht es aus, wo liegen die Vorteile, wo die Nachteile, wo die Fallen?

Antwort: Im krassen Gegensatz zu Alkohol sensibilisiert Cannabis. Alle Sinne. Man hört, sieht, schmeckt und fühlt intensiver. Das ist natürlich nur bei angenehmen Eindrücken von Vorteil. Wird es hässlich , grob, laut und bedrohlich, hört der Spaß komplett auf.   Das macht Kiffer vorsichtiger als Alkoholkonsumenten. Und, wie Oscar Wilde schon sagte: „Vorsicht ist das, was wir bei Anderen Feigheit nennen“. Außerdem sensibilisiert Cannabis auch für unsere Innenwelten. Sitzen dort Ängste und Konflikte, nehmen wir auch die stärker wahr.  Das ist dann eher unangenehm. Menschen, die von Haus aus hochsensibel , unsicher und ängstlich sind, kiffen deshalb nicht und das wird sich auch nicht ändern, wenn es legal geworden ist. Sie probieren es vielleicht mal, aber hören schnell wieder auf damit. Wirklich gefährlich ist Cannabis nur für Menschen, in denen versteckte Psychosen lauern. Die können beim Kiffen ausbrechen und ihr Leben ist für viele, viele Jahre versaut. Das betrifft maximal 1 Prozent der Konsumenten.

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